Artikel Südostschweiz 29. August 2024 von Patrick Kuoni
Überraschende Einblicke ins menschliche Gehirn, die Zukunft der künstlichen Intelligenz und die wirtschaftliche Situation der Region: Diese Themen haben die Teilnehmenden am Wirtschaftsforum Südostschweiz 2024 beschäftigt.
Das Wirtschaftsforum Südostschweiz ist ein Tummelplatz für Prominenz aus Wirtschaft und Politik. Die Vernetzung ist dementsprechend ein wichtiger
Bestandteil des Anlasses. Rund 550 Personen nahmen am Dienstagnachmittag in der Churer Stadthalle an diesem jährlichen Event teil. Neben Sehen und Gesehen-werden gab es in Form von Kurzreferaten interessante Einblicke in verschiedene Bereiche des menschlichen Lebens – weit über die einheimische Wirtschaft hinaus.
Ein überfordertes Hirn
«Ist unser Gehirn für die Zukunft geeignet?» Zu dieser Frage referierte der renommierte Neurowissenschaftler Lutz Jäncke am Wirtschaftsforum. Die schockierende Antwort: eigentlich
nicht. Der Grund, vereinfacht gesagt: das Internet. «Mittlerweile haben wir einen Überfluss an Daten.» Oder wie es Jäncke salopp formulierte: «Der Bullshit nimmt überhand.» Falls man
ihm nicht glaube, solle man sich irgendeinen Schwachsinn ausdenken. «Sie werden genau das im Internet finden. Und es wird Tausende geben, die diesen Schwachsinn glauben.» Und das Schlimme daran sei, dass der Mensch keine Gefühle für grosse Zahlen habe. «Wenn tausend Menschen sagen, du hast das gut gemacht, und 99 Millionen sagen etwas anderes, dann glaubt man dennoch den tausend Menschen. Wir leben in Realitätsblasen.» Er bilanzierte am Ende seines Vortrags: «Es gibt viele Vorteile der digitalen Welt, aber sie führt auch zu Problemen. Die Selbstdisziplin geht verloren, wir haben Aufmerksamkeitsprobleme, Konzentrationsschwierigkeiten, und wir wollen immer mehr und schneller Belohnung haben.» Durch die digitalen Medien litten das Sozialverhalten und die eigene Kommunikation. Er erklärte deshalb: «Unser Gehirn ist nicht für die moderne Welt geschaffen, weil wir von Informationen überflutet werden.» Sein Tipp, um diesem Problem entgegenzuwirken: «Mit Selbstdisziplin können wir den Genuss steigern. Die Selbstdisziplin macht die Welt schön. Wir sind dabei, das Schöne der Welt aus den Augen zu verlieren.»
KI als Unterstützung für Unternehmen
Die künstliche Intelligenz eröffnet sowohl Privatpersonen als auch Unternehmen immer mehr Möglichkeiten. Martin Haas, Geschäftsleitungsmitglied von Microsoft Schweiz, gab einen
kurzen Einblick, was heute schon möglich ist. Er zeigte dies am Beispiel eines Unternehmens auf, das einen smarten Rucksack entwickeln möchte. Ausgerüstet mit GPS und einer Handyladestation. Haas demonstrierte, wie mittels Microsoft Copilot innert weniger Minuten ein Marketingkonzept und eine zugehörige Powerpoint-Präsentation automatisch erstellt werden können. Er gab den Vertreterinnen und Vertretern der KMUs dann auch einen Tipp mit auf den Weg, wie man sich an die Thematik künstliche Intelligenz heranwagen kann. Wichtig sei zuerst einmal, dass man sich mit der Thematik auseinandersetze. «Und man muss lernen, die richtigen Fragen zu stellen, um so gute Ergebnisse fürs eigene Unternehmen zu erhalten.»
Positiv gestimmte Wirtschaft
Zum Auftakt des Wirtschaftsforums Südostschweiz wurden die Anwesenden gebeten, an einer Umfrage teilzunehmen. Die Frage lautete: «Wie nehmen Sie die Stimmung in der Wirtschaftsregion Südostschweiz wahr?» Das Ergebnis – welches natürlich nicht repräsentativ ist – zeigt eine gute Stimmungslage. Für fünf Prozent der Anwesenden ist die Lage ausgezeichnet, 76 Prozent werten sie als positiv und nur 19 Prozent als mässig. Das ist auch ein Fortschritt zum Stimmungsbild am letztjährigen Wirtschaftsforum. Die Lage wurde von zwei Prozent als ausgezeichnet, von 63 Prozent als positiv, von 33 Prozent als mässig und von zwei Prozent als schlecht angeschaut. Als Topreferentin am Wirtschaftsforum Südostschweiz war Doris Leuthard, alt Bundesrätin und heute Verwaltungsrätin in verschiedenen Unternehmen, eingeladen. Sie deutete das Ergebnis der Umfrage so, dass man sich in der Wirtschaft an schlechte Nachrichten gewöhnt habe. Schliesslich würden aktuell weltweit zwischen 20 und 30 Kriege toben – nicht nur in der Ukraine, sondern etwa auch im Nahen
Osten und im Kongo, in Somalia, Äthiopien, Myanmar.
China als Knoblauchmacht
In ihrem Referat sprach Leuthard auch an, wer vom aktuellen Ukrainekrieg am meisten profitiert: Sie nennt China. «Sie können günstige Energie von den Russen importieren. Gleichzeitig trägt Europa die meisten Kosten im Bereich Migration, und wenn es darum geht, Ausgleichsmassnahmen in diesem Krieg zu finden.» Ausserdem würden sich die Sanktionen gegen Russland auch dahin gehend auswirken, dass Geschäfte an gewissen Standorten aufgeben müssten, wovon wiederum China profitiere. «Die Abhängigkeit von China nimmt in jedem Jahr zu», so Leuthard. Sie illustrierte die Wirtschaftsmacht, die China inzwischen hat, mit einem Beispiel: «Ich habe vergangene Woche gelernt, dass sogar der Knoblauch zu 80 Prozent von den Chinesen stammt. Das hat mich fast umgehauen, aber es zeigt, dass China in vielen Bereichen, in denen man sich dies gar nicht bewusst ist, den Markt beherrscht.» «In vielen Bereichen kommt man um China als Wirtschaftspartner nicht herum.» Umso schwieriger sei der Umgang damit, wenn Menschenrechte verletzt werden und es nicht immer rechtsstaatlich unterwegs sei.